Wie schlechte Führung und fehlende Sinnhaftigkeit uns zu dem machten, wer und was wir heute sind.
Ich erinnere mich sehr genau an einen Tag im Sommer 2006. Mein Arbeitstag lief ab wie fast jeder Tag in meinem Angestelltendasein als Psychologe in einer öffentlichen Verwaltung: Diagnostik am Vormittag, Auswertungsgespräche am Mittag, Gutachten erstellen am Nachmittag – Fließbandarbeit auf hohem Niveau. Ich wusste manchmal zum Feierabend nicht mehr, wen ich morgens zum Gespräch bei mir hatte. Doch an diesem Tag geschah etwas Weiteres, was sich tief in mir festsetzte, mich prägte und mir noch heute Magengrummeln bereitet, wenn ich daran denke. Meine oberste Vorgesetzte war vor Ort in unserer Dienststelle. Das kam nicht oft vor. Sie hatte die Dienstaufsicht über alle sächsischen Standorte, und ich sah sie nur selten – eigentlich nur zu monatlich stattfindenden Dienstberatungen. Zu diesen mussten wir zu ihr fahren, und sie verkündete Neuigkeiten, Controlling- Berichte und Abordnungen. Mein Team und ich reisten in der Regel lediglich zum Zuhören an. Wir mussten die Informationen zur Kenntnis nehmen. Austausch gab es kaum, persönliche Gespräche noch weniger. Umso überraschter war ich, dass ich an diesem Tag ausgerechnet zu einem 4- Augen- Gespräch zu ihr gebeten wurde.
Das Gespräch detailliert wiederzugeben, fällt mir schwer. Anlass des Gesprächs war meine soeben beendete Arbeitsunfähigkeit. Die Monotonie meiner Arbeit, der fehlende kollegiale Austausch, der autoritäre Führungsstil hatten mir mächtig zugesetzt. Ich hatte Dauerkopfschmerz, Schwindel, konnte nur schlecht schlafen und war körperlich erschöpft. Hatte ich jetzt erwartet, dass sie sich nach meinem Befinden erkundet? Was ich tatsächlich erlebte, waren Unterstellungen und Drohungen. Sie vermute, dass ich gar nicht krank gewesen sondern stattdessen meiner Nebentätigkeit an der Volkshochschule nachgegangen sei. Man würde nachforschen, und „… dann gibt es ein Donnerwetter“ und ich würde „…mein blaues Wunder erleben.“ Und bevor ich diese Aussagen richtig begreifen konnte, wechselte sie plötzlich den Tonfall und fragte: „Sie haben doch letzten Monat geheiratet. Hatten Sie eine schöne Hochzeit? Herzlichen Glückwunsch von mir!“. Ich fühlte mich wie im falschen Film.
Ich habe mich im Nachhinein oft gefragt, was mich an diesem Gespräch so fassungslos machte. Ich glaube, es war die Mischung aus Drohungen, fehlendem Respekt, Kaltschnäuzigkeit und geheucheltem persönlichen Interesse – und das von meiner Führungskraft und Psychologin. Was für ein Modell einer Antiheldin! Meine Motivation zu diesem Job und meine Loyalität zu meinem Arbeitgeber sank immer mehr. Ich wachte jeden Morgen auf und fühlte mich schon beim bloßen Gedanken, wieder auf Arbeit gehen zu müssen, unwohl. Und während ich die letzten Schritte in Richtung meiner Arbeit ging, wuchs ein innerer Druck und eine innere Anspannung. Ich wurde unausgeglichen, reagierte pampig zu Kollegen und gleichgültig gegenüber meinen Klienten. Ich fühlte mich ausgebrannt, missverstanden. Das Büro fühlte sich eher wie eine Zelle an. Ich spürte, dass es so nicht weiter gehen konnte.
Heute weiß ich, zu der Entscheidung, einen neuen beruflichen Weg zu gehen, hat meine damalige Vorgesetzte beigetragen. Sie war eine meiner Antihelden!!! Ich hatte in meinem Angestelltenverhältnis die unterschiedlichsten Führungspersönlichkeiten kennengelernt. Am prägendsten jedoch waren die Personen, die so waren, wie ich definitiv weder als Mensch noch als Führungsperson sein wollte. Immer wieder gab es Erlebnisse und Situationen mit diesen Menschen, wo ich mich fragte, was hier und mit denen falsch läuft. Meinungen wurden abgebügelt oder gar nicht erst zugelassen, Ergebnisse manipuliert, um gut dazustehen, Angst unter Kollegen geschürt und wenig Verständnis für die Belange und Bedürfnisse der Kollegen gezeigt. Erwartete ich zu viel oder sah so moderne Führung aus? Ich persönlich wollte ehrlich, fair und respektvoll behandelt werden. Mein Erleben war leider ein anderes.
Und so kam es, wie es kommen musste. Ich gab mein gut bezahltes und unbefristetes Angestelltendasein im öffentlichen Dienst auf. Durch ein Angebot für eine Teilzeitstelle als Psychologe in einer Reha-Einrichtung begann 2011 mein Weg in die Selbstständigkeit. So hatte ich auch die Chance, zeitgleich meine eigene Privatpraxis für Psychotherapie zu eröffnen.
Kurz nach der Eröffnung saß ich mit einem guten Freund im Irish Pub. Er sagte: „Was, bitteschön, hast du dir dabei gedacht, deinen sicheren und gut bezahlten Job aufzugeben?“ Und während ich an meinem Guinness nippte, ging mir diese Frage nicht mehr aus dem Kopf. War das richtig? Warum tue ich das überhaupt? Zu diesem Zeitpunkt war es nicht der Wunsch nach Freiheit oder Selbstverwirklichung. Es war der pure Aktionismus und Flucht- die Flucht nach vorn. Ich habe anfangs häufiger mit dem Gedanken gespielt, die Selbständigkeit wieder aufzugeben. Der zeitliche und materielle Aufwand war extrem hoch und die Kasse war nicht immer gut gefüllt.
In den ersten Jahren der Selbständigkeit lernte ich wieder Menschen kennen, die in meinem Verständnis als Antihelden durchgehen. Ich lernte Geschäftsführer kennen, die in selbstgefälliger Weise von ihren undankbaren Beschäftigten berichteten und nach Sanktionsmöglichkeiten statt nach Unterstützungsangeboten suchten. Meine Klienten berichteten von Vorgesetzten, die in militärischem Ton mit den Leuten sprachen, erzählten, wie sie unter deren Unberechenbarkeit und Unnahbarkeit litten und dadurch krank wurden. Und genau diese Erlebnisse halfen mir, mein eigenes Verständnis von Unternehmenskultur und Führung weiter zu entwickeln. Meine persönliche Entwicklung läuft seitdem in neuen, anderen Bahnen.
Ich habe mein psychologisches Know-How mit dem unternehmerischen Kontext gekoppelt. Damit wurde der Grundstein für gmp mit den Schwerpunkten Betriebliches Gesundheitsmanagement und Prävention im Jahr 2013 gelegt. Mit der Zeit füllte sich das Auftragsbuch, in kleinen Schritten und kontinuierlich, und so kam es, dass drei Jahre später meine Frau als Trainerin, Moderatorin und Coachin zur Unterstützung bei gmp einstieg.
Im Jahr 2020 konnte sich unser Stamm- Team personell verdoppeln, und wir haben uns weitere Kolleginnen mit ins Boot geholt, die gemeinsam mit uns an einer gesunden Unternehmenskultur in der Region arbeiten. So haben im Laufe der Zeit viele Menschen – Geschäftsführer, Führungskräfte, Mitarbeiter - unser Verständnis einer modernen Arbeitswelt kennengelernt und werden es auch in Zukunft erfahren. Ein Verständnis, das durch die Erlebnisse mit meinen Antihelden geprägt ist. Ich danke meinen Antihelden, für euer Auftreten, eure Kommunikation, eure getroffenen Entscheidungen und vieles mehr. Das alles war mir Anlass, meine eigenen Werte zu hinterfragen und neu zu ordnen – Wertschätzung, Respekt, Vertrauen, Dankbarkeit, Demut und andere mehr.
Wir als gmp tragen unseren kleinen Teil zu einer besseren Gesellschaft bei – für andere, mit anderen und im eigenen Team. Unsere Kollegin sagte einige Monate, nachdem sie bei uns begonnen hatte: „Ich freue mich jeden Tag aufs Neue, auf Arbeit zu kommen.“
Wenn Mitarbeiter das von Herzen sagen können, haben wir etwas richtig gemacht.
Valentin Pistrujew - Geschäftsführer gmp